Das Wechselmodell. Ein schnelllebiges, wackeliges Wort für etwas, was Kindern in einer unsicheren, mit Orientierungsschwierigkeiten behafteten Zeit Stabilität geben soll. Und richtig gelebt, kann dieses Modell mit dem schwankenden Namen durchaus Halt verleihen und womöglich die beste Alternative nach einer Trennung sein. Doch das Modell bietet eine große Angriffsfläche für Verhalten, welches am Ziel vorbeischießt. Deshalb ist Achtsamkeit gefragt.
Selbst habe ich dieses Modell nie gelebt. Doch meine neun Jahre jüngere Schwester pendelte nach der Trennung der Eltern zwischen meiner Mutter und mir und ihrem Vater, meinem Stiefvater, hin und her. Sie war damals fünf Jahre alt und stand kurz vor ihrer Einschulung. Der Hintergrund, weshalb sich die Eltern für das Wechselmodell entschieden, war, dass sie es als unfair betrachtet haben, dass ihr Kind aufgrund des Versagens der Eltern den einen oder den anderen weniger sehen könnte, schließlich haben das Kind beide gleich doll lieb.
Meine kleine Schwester mit ihren fast sechs Jahren, die schon immer ungewöhnlich papa- und mamafixiert war, sollte nun also das Wechselmodell leben. Sowohl mein Stiefvater als auch meine Mutter und ich suchten uns eine neue Wohnung in der gleichen Gegend. Im Endeffekt lagen die Wohnungen ca. 10 Minuten fußläufig voneinander entfernt. Das war eine große Erleichterung, zumal die damalige Grundschule sowie der Fußballverein, in dem meine Schwester spielte, in unmittelbarer Nähe beider Wohnungen lagen. So wechselte meine Schwester also wöchentlich. Die „Übergabe“ fand immer freitags im Rahmen des Fußballtrainings statt. Meine Mutter berichtet: „Manchen hilft es vielleicht, es bei der Übergabe so zu machen wie wir: Sich an einem Ort zu sehen, an dem man sich auch länger aufhalten kann. Es war nicht nur ‚ich bring dir jetzt das Kind vorbei’. Das war natürlich dem Ganzen förderlich. Da waren mehrere Menschen, die wir beide kannten. Wo wir auch mal zusammen saßen und ein Bier getrunken haben und so. Da konnte man auch noch über das eine oder andere reden. Weil man eben auch noch einen gemeinsamen Freundeskreis hatte durch den Verein. Das war schon sehr hilfreich“. Aber auch neben der Übergabe freitags war der Fußballverein ein Treffpunkt unter der Woche u. a. zum Reden, egal bei wem das Kind in der Woche gerade war.
Da meine Schwester ein regelliebender Mensch ist, wurde sich an die freitägliche Übergabe immer gehalten. Da wurde nicht dran gerüttelt und jeder konnte demnach planen und sich darauf einstellen. Vier Jahre lang, in denen jeden Donnerstagabend Woche für Woche entweder der Vater oder die Mutter eine riesige Reisetasche für ihr Kind packten mit Schulsachen für eine Woche, Trainingskleidung und einem Keyboard. Zu Beginn war dieses Gepäck noch kein so großes Problem, weil auch das Auto aus der gemeinsamen Ehe weiterhin egalitär nach dem Kind-Rhythmus geteilt wurde. Vier Jahre später gab es dann kein Auto mehr. Aber natürlich lebten auch die Eltern grundverschiedene Leben. In der einen Woche war ein Elternteil komplett verantwortlich für das Kind, und in der anderen Woche war niemand zuhause und man hatte theoretisch jede Freiheit der Welt.
Meine Mutter erzählt mir, wie wichtig sie es fand, dass sich beide Elternteile in der Zeit, in der das Kind noch sehr unselbstständig war, austauschten und besprachen. Die zahlreichen Treffen in der Woche im Fußballverein machten es leichter. Sie informierten sich gegenseitig über gewisse Auffälligkeiten oder Begebenheiten, „denn wenn schließlich zwei Leute feststellen, dass vielleicht irgendetwas nicht stimmt, ist das immer nochmal was anderes, als wenn man immer alleine über etwas nachdenkt.“ Natürlich wurden manche Dinge, wie zum Beispiel Urlaubspläne, dennoch nicht immer wünschenswert kommuniziert, sondern Informationen wurden per Mundpropaganda weitergegeben, die nicht funktionierte, doch den Ärger darüber musste man runterschlucken. „Aber gerade da liegt die Tücke“, berichtet meine Mutter, „du trennst dich ja, weil du dich nicht verstehst. Aber durch das Kind musst du dich wieder verstehen. Und das bedarf natürlich einer unglaublichen Großherzigkeit und Großmut auf beiden Seiten.“
Mit zunehmender Selbstständigkeit meiner Schwester und damit einhergehender unterschiedlicher Erziehungsvorstellungen bröckelte dann aber die gut funktionierende Kommunikation. Auch das Taschepacken wurde nunmehr meiner Schwester überlassen und der Vater zog knapp drei Kilometer weiter weg. Meine Schwester stöhnte: „Dadurch dass mein Vater dann etwas weiter weggezogen ist, war alles noch ein bisschen anstrengender. Man hatte immer keine Lust den weiten Weg zu fahren mit der Tasche. Manchmal musste Papa mich dann abholen, weil ich für eine Woche so eine große Tasche hatte, dass ich die nicht alleine hätte transportieren können auf dem Fahrrad. (…) Und bei Papa habe ich dann meistens aus der Tasche gelebt.“
Kurze Zeit später kumulierten mehrere Dinge. Der Umzug des Vaters, ein Vereinswechsel, die sechste Klasse, Freizeitaktivitäten mit Freunden. Meiner Schwester wurde alles zu anstrengend. Und von dem Zuhause ihrer Mutter aus war alles bequemer, leichter zu erreichen. „(…) das war eher so ein schleichender Prozess, in dem ich gemerkt habe, dass unsere Tochter in der Zeit, in der sie eigentlich nicht bei mir sein sollte, bei mir war und mich auch bei der Arbeit anrief und ich immer bei der Arbeit das Gefühl hatte, bin ich jetzt doch zuständig oder nicht?“, erzählt meine Mutter. Meine Schwester merkte, dass sie nicht mehr so zufrieden mit dem Wechselmodell war wie zu Beginn. Sie beriet sich mit ihrem Patenonkel, einem gemeinsamen Freund der Eltern, und dieser bereitete die Eltern auf das darauf Folgende vor: Meine Schwester entschied sich, das Zuhause unserer Mutter zum Hauptwohnsitz, zum Lebensmittelpunkt zu machen. Von nun an hieß es, immer bei Mama und jede zweite Woche von Donnerstagabend bis Montagmorgen bei Papa und zusätzlich der Donnerstagnachmittag in der anderen Woche. Damals war meine Schwester elf Jahre alt. Mittlerweile ist sie fünfzehn Jahre alt. Ich habe sie gefragt, was sie bei dieser Entscheidung gefühlt hat: „Ich hatte ein total schlechtes Gewissen und habe ich auch immer noch, Jahre später. Ich hatte und habe immer noch Angst, dass Papa denkt, ich habe ihn weniger lieb, nur weil ich jetzt mehr bei Mama wohne. (…) Und ich glaube, ihn hat es auch schon getroffen, dass ich mehr bei Mama wohne.“ Außerdem erzählt sie: „Aber ich hab das Gefühl, seit ich mich entschieden habe, mehr bei Mama zu wohnen, dass Papa das Mama übel genommen hat. Immer bei Feierlichkeiten, wo beide dann eingeladen waren, Papa nicht gekommen ist, weil Mama da war. Und dann dachte ich mir einfach, das ist mir gegenüber nicht fair. Manchmal geht es mir auch so, dass ich öfter bei Papa wohnen wollen würde, aber das vergeht dann auch wieder. Aber vermissen tu ich ihn schon manchmal so.“ Ich frage meine Schwester, ob sie das Wechselmodell weiterempfehlen würde. Sie sagt, dass für sie das Wechselmodell Sinn gemacht hat, als sie noch jünger war. Man sah beide Elternteile gleich viel und auch die beiden bekommen gleich viel vom Leben des Kindes mit. Aber jetzt ist sie sowieso fast nie zuhause und zwei Wohnorte sind einfach einer zu viel.
Schlussendlich frage ich meine Mutter, wie sie rückblickend das Modell bewertet und was sie aus der Erfahrung mitgenommen hat. Jedes Modell, berichtet sie mir, ist ein gutes Modell, wenn es den Bedürfnissen der Kinder entspricht und jeder darauf eingeht und sich die notwendige Mühe macht. Das Wechselmodell hat in diesem Fall einige Jahre funktioniert und als es nicht mehr passte, musste es eben geändert werden. Und Kommunikation ist das Wichtigste.
Reden reden reden.