Als ich mich 1992 von meinem Ex-Mann trennte, war unsere Tochter zwei Jahre alt. Ich war der festen Überzeugung, dass es für ein Kind am wichtigsten ist, die Beziehung zu beiden Eltern gleichermaßen aufrecht zu erhalten. Daher schlug ich meinem Ex-Mann lange vor der Kindschaftsrechtsreform 1998 ein gemeinsames Sorgerecht und eine wechselnde Betreuung unserer Tochter vor. Durch seinen Wechselschichtdienst hatte er regelmäßig mehrere Tage am Stück frei, auch wochentags. Da mein Vorgesetzter mir bei der Einteilung meiner 20 Wochenstunden freie Hand ließ, konnten wir das Wechselmodell realisieren und unsere Tochter verbrachte ca. 60 Prozent der Zeit bei mir, ca. 40 Prozent beim Vater.
Alle zwei bis drei Tage holte mein Ex-Mann die Tochter ab oder brachte sie zurück. Er wohnte in derselben Stadt, so dass die Wege relativ kurz waren. Natürlich hatte sie bei ihm ein anderes soziales Umfeld als bei mir. Hinzu kamen unterschiedliche Erziehungsstile und negative Beeinflussungen des Vaters. Mit drei Jahren besuchte sie den Kindergarten, so dass die Übergaben überwiegend dort stattfanden und der abgebende Elternteil alles, was sie in den nächsten Tagen brauchte, in die Kita mitnahm. Unsere Tochter war ein fröhliches, aufgeschlossenes Kind; die häufigen Wechsel zwischen den Eltern waren für sie emotional kein Problem. Selten äußerte sie den Wunsch, beim abgebenden Elternteil zu bleiben. Auffällig war nur, dass sie körperliche Nähe selten zuließ.
Als sie vier Jahre alt war, absolvierte mein Ex-Mann eine vierwöchige Kurmaßnahme; unsere Tochter verbrachte diesen Zeitraum ausschließlich bei mir. Morgens war sie im Kindergarten, ich bei der Arbeit; die Nachmittage verbrachten wir zusammen. Bereits nach wenigen Tagen stellte ich bei ihr eine erhebliche Verhaltensänderung fest. Sie war plötzlich sehr anhänglich, lief mir auf Schritt und Tritt hinterher und wollte ständig kuscheln. Da wurde mir bewusst, dass ihr in den vergangenen Jahren Geborgenheit fehlte und sie sich nirgends heimisch fühlte. Als ich ihr sagte, dass der Papa in wenigen Tagen von der Kur zurückkehrt, äußerte sie den Wunsch, bei mir bleiben zu wollen und den Papa nur noch zu besuchen.
Leider war mein Ex-Mann nicht bereit, die Betreuungsintervalle zu verändern und unterstellte mir, unsere Tochter beeinflusst zu haben. Aber ich war mir sicher, dass es unsere kleine Tochter leichter verkraftet, einen Elternteil seltener zu sehen, als durch ständigen Wechsel zwischen den Eltern entwurzelt zu sein.
Daher war ich gezwungen, beim Amtsgericht eine Änderung des Umgangsrechts zu beantragen. Der Richter entschied, dass die Betreuung unserer Tochter zu 80 Prozent durch mich erfolgen soll. Unsere Tochter war dankbar für diese Regelung, freute sich künftig auf die Besuche beim Vater und fühlte sich bei mir zu Hause.