von Elisabeth Küppers, Geschäftsführerin im VAMV Landesverband Berlin e.V.
Den Umgang mit dem Kind/den Kindern nach der Trennung kann man auf vielfältige Art und Weise regeln. Das Wechselmodell, eine paritätische Betreuung der Kinder durch die Eltern, mit annähernd gleichen Zeitanteilen, ist nur eine Alternative, die völlig ideologiefrei zu betrachten ist.
Wir gehen davon aus, dass Eltern ihre Kinder vor den negativen Folgen ihrer Trennung schützen wollen. Da eine Trennung jedoch immer auch mit extremen Gefühlen und tiefen Enttäuschungen verbunden ist, ist dies nicht immer ganz leicht. Unterschiedliche Vorstellungen darüber, was das Beste für die Kinder ist, sind von diesen Gefühlen und eigenen Wünschen und Bedürfnissen überlagert.
Um Entscheidungen zu treffen, was das Beste für die Kinder ist, braucht es
- Zeit, um Erfahrungen mit der neuen Lebenssituation zu sammeln
- vielleicht auch Beratung
- auf jeden Fall jegliche Abwesenheit von Wertungen, welche Umgangsform die beste ist.
Auch wenn man sich nicht gleich einig ist, sollten auf keinen Fall andere entscheiden können, was für einen selbst und/oder für die Kinder gut ist. Jegliche Form von Druck oder schlechtem Gewissen ist nicht zielführend im Sinne einer gemeinsamen Elternschaft. Egal ob man sich für das paritätische Wechselmodell oder das Residenzmodell, bei dem die Kinder vorwiegend (Lebensmittelpunkt) bei einem Elternteil leben, entscheidet: Nicht die Quantität, sondern die Qualität von Beziehungen ist entscheidend. Es kommt in jedem Einzelfall auf die individuellen Möglichkeiten der beteiligten Eltern an, z. B. wie viel Zeit und Geld sie zur Verfügung haben, wie hoch ihre Fähigkeit ist, sich in absehbarer Zukunft fair miteinander zu arrangieren und den Kindern Loyalitätskonflikte zu ersparen.
Eltern sollten folgende Themen und Fragen miteinander kommunizieren, bevor sie sich auf ein Wechselmodell verständigen:
Das Wechselmodell verlangt möglichst große Klarheit in Bezug auf die eigenen Motive
Die Entscheidung für oder gegen das Wechselmodell erfordert, dass beide Elternteile sich weitestgehend darüber klar sind, warum sie dieses Modell bevorzugen. Motive wie etwa finanzielle Einsparungen sind genauso bedenklich wie die Absicht, dem anderen Elternteil „eins auszuwischen“. Ungeeignet sind auch Entscheidungen, die durch Zwang/Druck herbeigeführt werden, unterstützt durch eine Ideologie, die das Wechselmodell für „das beste Umgangsmodell“ hält. Kein Vater oder keine Mutter, der/die sich für ein anderes Umgangsmodell entscheidet, ist ein schlechter Vater oder eine schlechte Mutter. Die Motive für oder gegen eine Umgangsform sollten sich so weit wie möglich an den Erfordernissen der Kinder orientieren.
Bin ich bereit, über meine Motive ehrlich zu reden?
Würde ich mir/uns Beratungshilfe holen, wenn wir uns festgefahren haben?
Das Wechselmodell ist nicht unbedingt entlastend
Auf den ersten Blick bietet einem das Wechselmodell mehr Flexibilität und Freizeit. „Man hat in der betreuungsfreien Zeit den Kopf frei für andere Dinge, für private ebenso wie für berufliche“. Das stimmt nur bedingt. Es wird oft verkannt, dass der regelmäßige Wechsel vom Status des/der Alleinerziehenden in den Status des/der Alleinlebenden völlig neue Probleme schafft, da die beruflichen und privaten Verpflichtungen sich im Alltag keineswegs so fein säuberlich aufteilen lassen. In der einen Woche steht das volle Familienprogramm an, das alleine gehändelt werden muss, in der anderen Woche muss man sich wieder umstellen und ist Single.
Bin ich beruflich und persönlich in der Lage, mich auf das Wechselmodell einzulassen?
Inwieweit sind wir Eltern in der Lage, uns ohne Gesichtsverlust Unterstützung vom anderen Elternteil zu holen bzw. ihn/sie zu unterstützen, sollte es zu Betreuungsengpässen kommen?
Das Wechselmodell erhöht häufig Verlustängste
Wie groß diese Verlustängste sind, kommt sehr darauf an, wie die Betreuung des Kindes/der Kinder vor der Trennung organisiert war. Wurde diese Aufgabe vorwiegend von der Mutter wahrgenommen, was bei sehr kleinen Kindern in den meisten Fällen der Fall ist, löst das Wechselmodell nach der Trennung insbesondere bei den Müttern viel größere Verlustängste aus als bei den Vätern. Viele Väter können sich allerdings gar nicht vorstellen, nach einer Trennung ihre Kinder nur am Wochenende zu sehen. Die Trennung ist nicht selten ein traumatischer Einschnitt für alle Beteiligten. Verlorenes Vertrauen und Verlustängste beider Elternteile behindern die Fähigkeit loszulassen. Ignoranz hilft hier genauso wenig weiter wie die Verleugnung dieses Problems. Damit die Mutter bzw. der Vater Vertrauen und Sicherheit wiedergewinnen und den Kindern entsprechend der Betreuungsaufteilung vor der Trennung eine gewisse Beziehungskontinuität gewährleisten, braucht es hier behutsame Übergänge und nicht den Vorwurf mangelnder Bindungstoleranz oder Sätze wie: „Du hast dich vor der Trennung doch auch kaum um die Kinder gekümmert“.
Bin ich bereit und in der Lage, mich auf die Befindlichkeit der Kinder und die des anderen Elternteils einzulassen und sie zu akzeptieren?
Bin ich bereit, meine eigenen Verletzungen zu bearbeiten, um zum Wohle der Kinder entscheiden zu können?
Das Wechselmodell stellt besonders bei konflikthaften Elternbeziehungen hohe Anforderungen
Wie beschrieben gehören Konflikte, Verletzungen und Enttäuschungen zu jeder Trennung. Nur wenn Eltern in der Lage sind, diese persönlichen Konflikte irgendwann beizulegen beziehungsweise die notwendigen Anforderungen an eine vernünftige Kommunikation erfüllen, ist das Wechselmodell für sie geeignet. Natürlich streiten sich Eltern auch in Paarbeziehungen über ihre Kinder. Heftige Konflikte, Machtspiele und Besserwisserei haben jedoch Einfluss auf das eigene Wohlbefinden und natürlich auch auf das der Kinder, wenn sie dauerhaft und aggressiv ausgelebt werden. Kinder geraten in Loyalitätskonflikte, sie erleben sich selbst als schuldig an diesem Zustand oder versuchen, anstelle der Eltern Verantwortung zu übernehmen, indem sie es allen oder dem scheinbar Schwächeren recht machen wollen.
Bin ich in der Lage, meine persönlichen Verletzungen nicht über die Kinder auszutragen und die Kinder im Umgang zum anderen Elternteil zu unterstützen?
Bin ich bereit, meine Kommunikation mit dem anderen Elternteil zu verbessern?
Das Wechselmodell verlangt gegenüber neuen Partner:innen des anderen Elternteils sehr viel Toleranz
Es stellt oftmals eine besondere Herausforderung dar, den/die neue/n Partner:in des anderen Elternteils zu akzeptieren, während man sich selbst als Verlierer:in ansieht, der/die mit allen durch die neue Lebenssituation entstandenen Schwierigkeiten fertig werden muss. Die Vorstellung, dass jemand Fremdes zeitweise mehr mit den eigenen Kindern zusammenlebt als man selbst, ist mitunter unerträglich. Bringt die/der neue Partner:in eigene Kinder mit in die neue Lebensgemeinschaft, verstärken sich diese Ängste: Das eigene Kind bekommt womöglich nicht genug Aufmerksamkeit oder – ungünstigstenfalls – wird sogar benachteiligt. Das Vertrauen in sich selbst und die Fähigkeit, die andere sogenannte Patchworkfamilie nicht als Konkurrenz, sondern vielleicht auch als Bereicherung zu sehen, macht uns der Erfahrungsbericht „Irgendwann wurde es mir zu anstrengend“ deutlich.
Bin ich bereit, den Kindern gegenüber behutsam und tolerant mit der Tatsache umzugehen, dass der andere Elternteil eine neue Partnerin/einen neuen Partner hat?
Welche Rolle/Wertigkeit soll meine neue Partnerin/mein neuer Partner im Hinblick auf die Kinder spielen?
Das Wechselmodell muss an die Bedürfnisse des Kindes/der Kinder angepasst werden
Hierzu gibt es einen ausführlicheren Artikel von Prof. Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind „Das Wechselmodell aus Sicht des Kindes“
Grundsätzlich kann man sagen, dass die zeitlichen Intervalle des Wechsels umso kürzer sein sollten, je kleiner das Kind ist. Kleine Kinder haben noch kein Gefühl dafür, wie lang eine Woche ist. Sie spüren jedoch, wenn ihre wichtigsten Bezugspersonen zu lange abwesend sind. Je älter das Kind ist, desto eher ist das Kind in der Lage, sich vorzustellen, wann es wieder beim anderen Elternteil sein wird, und diese Zeitspanne auch unbeschadet auszuhalten.
„Den Bedürfnissen der Kinder angepasst“ bedeutet außerdem auch, flexibel zu sein und das Umgangsmodell immer wieder zu hinterfragen, nicht die Tage und Stunden zu zählen oder auf getroffene Verabredungen stur zu beharren. Kinder sollten sagen dürfen, wenn ihnen etwas passt oder nicht. Sind die Kinder 12 und älter, verbringen sie mehr Zeit in gleichaltrigen Gruppen und ihnen wird der wöchentliche Wechsel häufig zu viel.
Können die Kinder angstfrei Wünsche bezüglich der Umgangsregelungen äußern, die eventuell nicht mit den eigenen übereinstimmen, mich vielleicht sogar enttäuschen?
Würde ich unser Kind Fachleuten vorstellen oder in einer Trennungsgruppe anmelden, wenn der andere Elternteil oder ich Bedenken bezüglich unserer Umgangsregelung haben?