von Nicole Siewert und Ralf Knicker
(Haben selbst zwei gemeinsame Kinder, 4 Jahre und 4 Wochen alt, wovon der ältere im Wechselmodell betreut wird.)
Miteinander reden, aber wie?
Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg
Der kleine Simon ist drei Jahre alt und wird von seinen Eltern Benjamin und Christine im Wechselmodell betreut. Alle zwei bis drei Tage wird er von einem Elternteil zum anderen gebracht, beide Elternteile sind selbstständig und legen daher Wert auf Flexibilität in der Betreuung, damit die Möglichkeit besteht, gegebenenfalls mal einen Betreuungstag zu verschieben, falls die Arbeit das notwendig macht. Das erfordert genaue Absprachen und ein immer wieder neues Abwägen der Interessen der beiden Elternteile und der Bedürfnisse des kleinen Jungen. Jetzt hat Benjamin eine Anfrage für einen Arbeitstermin, die er nur erfüllen kann, wenn Christine bereit ist, Simon einen Tag früher als gewöhnlich zu übernehmen.
Benjamin: „Ich habe nächsten Dienstag ein Meeting für ein Projekt, das mir für viele Wochen gut bezahlte Arbeit sichern würde und auch sehr interessant ist. Könntest du dir vorstellen, Simon von der Kita abzuholen, obwohl es eigentlich mein Tag ist?“
Christine: „Ich müsste dazu den Yoga-Kurs ausfallen lassen, der gerade erst angefangen hat. Ich habe schon seit Monaten nichts mehr für mich selbst gemacht. Ich habe keine Lust, ständig wegen deiner wichtigen Arbeit zurück zu stecken. Er war schon die ganzen Osterfreien während der Schließzeit bei mir.“
Benjamin: „Du weißt genau, dass ich schon seit geraumer Zeit ein Auftragsloch habe. Ich weiß gar nicht, wie ich den geplanten Urlaub mit Simon im Sommer bezahlen soll. Da freuen wir uns beide drauf. Ich bin echt frustriert, dass du da nur an dich und deine Freizeit denkst. Dieser Termin ist echt wichtig. Das ist typisch, dass du keinen Blick für echte Notwendigkeiten hast und nur mit dir selbst beschäftigt bist.“
Christine geht verletzt aus dem Kontakt und ist nicht bereit, Benjamin entgegen zu kommen.
Die Betreuung von Kindern im Wechselmodell erfordert von den Eltern ein hohes Maß an Kommunikationsbereitschaft. Die größte Herausforderung ist wohl, die Probleme und Verletzungen, die aus der beendeten Paarbeziehung der Eltern weiter bestehen, beiseite zu schieben und den Fokus auf das Wohlbefinden des Kindes zu richten. Allerdings gilt auch: Kinder können nur so glücklich sein wie ihre Eltern. Deshalb ist es so wichtig, dass diese bereit sind, miteinander zu reden.
Die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach dem amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg kann hier eine große Unterstützung und Bereicherung sein. Wichtigste Elemente der GfK sind die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen und Motive einer anderen Person zu erkennen und zu akzeptieren. Wenn es mir gelingt, die Gefühle und Bedürfnisse hinter den (oftmals verletzenden) Worten zu hören, kann ich ein Verständnis für mich und mein Gegenüber entwickeln, was zu Verbindung führt anstatt zur Trennung. Auf dieser Basis können Konflikte gewinnbringend geklärt werden. Davon profitieren sowohl die Eltern als auch ihre Kinder.
Zwei Tage nach ihrem Streit treffen sich die Christine und Benjamin, um ihr Problem mithilfe der Gewaltfreien Kommunikation zu klären. Dazu orientieren sie sich an den vier Grundschritten der GfK
1. Schritt: Beobachtung
Benjamin: Ich habe dich gefragt, ob du Dienstag Simon übernehmen kannst und du hast abgelehnt,
weil Du da einen Yoga-Kurs hast.Christine: Du hast mich gefragt, ob ich Dienstag Simon übernehmen kann. Als ich abgelehnt habe, hast du gesagt, mein Yoga sei nur Freizeit und ich habe keinen Blick für das, was wirklich wichtig ist.
2. Schritt: Gefühle
Benjamin: Ich bin frustriert. Ich bin überfordert und gestresst, weil ich mich um meine Arbeit und um Simon kümmern muss. Ich bin erschöpft, weil ich mich ganz hin- und hergerissen fühle und nicht weiß, wie ich es besser machen kann.
Christine: Ich bin verletzt. Ich bin traurig, weil ich höre, dass meine Interessen nicht so wichtig sind wie deine Arbeit. Ich fühle mich klein und wertlos, wenn du sagst, ich habe keinen Blick für die Realität. Wenn du sagst, das sei typisch für mich, fühlt sich das eng und unfrei an, als hättest du mich in eine Schublade gesteckt.
3. Schritt: Bedürfnisse
Benjamin: Mir ist es wichtig, dass du siehst, wie existentiell das für mich ist, zu diesem Termin gehen zu können. Ich möchte gern für mich und Simon sorgen können und in dem Sommerurlaub haben wir endlich mal Zeit miteinander. Ich wünsche mir Unterstützung und dass du meine große Bemühung wahrnimmst, Vaterschaft und Arbeit zu vereinbaren. Ich möchte eine gute Zeit mit Simon haben und dazu brauche ich Entspannung in finanziellen Dingen. Sonst habe ich Sorgen und bin gestresst.
Christine: Ich wünsche mir Wertschätzung für meine Interessen und dass du meine Bedürfnisse ernst nimmst. Der Yoga-Kurs erfüllt mir Kontakt und Entwicklung. Ich möchte etwas für meinen Körper tun und unter Menschen sein. Ich kann mich besser um Simon kümmern und bin nicht so schnell gestresst, wenn ich gut für mich sorge und einen Ausgleich habe. Ich wünsche mir mehr Kontakt und Austausch über Simon und unsere Elternschaft. Sonst denke ich, dass du dich nur an mich wendest, wenn ich etwas für dich tun soll.
4. Schritt: Bitte
Benjamin: Ich bedauere, dass ich nicht wahrnehmen konnte, wie wichtig dir der Yoga-Kurs ist und dass du damit auch Simon etwas Gutes tun möchtest. Eigentlich würde mir so etwas auch gut tun. Ich werde wegen meiner Arbeit am Dienstag mal meine Mutter fragen – die wollte uns ohnehin besuchen. Kann ich dich noch einmal fragen, falls meine Mutter nicht kann? Vielleicht fällt dir ja auch noch eine andere Möglichkeit ein?
Christine: Ich sehe, dass du ziemlich unter Druck stehst und Sorge wegen Deiner finanziellen Situation hast. Könntest du dir vorstellen, dass wir regelmäßig außerhalb der Übergabezeiten ein Gespräch miteinander zu führen? Falls deine Mutter nicht kann, würde ich mit Simon zu Anja und Bernd gehen. Dann hätte ich zumindest mein Bedürfnis nach Kontakt erfüllt und Simon ist gern bei ihnen.
Benjamin und Christine verabreden sich für ein regelmäßiges Gespräch, bei dem sie versuchen wollen, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten mithilfe der GfK zu lösen und sich vor allem über ihre Wahrnehmung von Simon auszutauschen.
Da beide Eltern im Wechselmodell nur die Hälfte der Zeit mit dem Kind verbringen, ist es wichtig, dass sie sich gegenseitig auf dem Laufenden halten, wie sie ihr Kind in ihrer Umgangszeit erleben. Denn für die Kinder ist es oftmals nicht ganz leicht, zwischen zwei Haushalten hin und her zu wechseln.
So ist es nicht nur wichtig, dass die Eltern miteinander im Austausch sind, sondern vor allem auch, dass sie mit ihren Kindern darüber sprechen, wie es ihnen geht und den Gefühlen der Kinder Raum geben. Wenn diese das Vertrauen entwickeln, dass sie sich mit all ihren Gefühlen zeigen können, ist es auch für die Eltern leichter, die Bedürfnisse ihre Kinder wahrzunehmen und zu verstehen und trotz aller Herausforderungen in der getrenntern Elternschaft einen guten Kontakt zu ihren Kindern zu haben.
Die Gewaltfreie Kommunikation kann bei der Bewältigung der Herausforderungen, die die Betreuung von Kindern im Wechselmodell mit sich bringt eine große Unterstützung sein. Sie hilft uns dabei, ein besseres Bewusstsein für unsere Gefühle und Bedürfnisse und die der anderen zu entwickeln und somit in Verbindung mit den Menschen um einen herum zu kommen. Sicher erfordert das ‚Erlernen’ der Haltung der GfK am Anfang einiges an Übung.
Aus eigener Erfahrung können wir sagen, dass es sich lohnt!